Lachgas zur Schmerzausschaltung

Die Entdeckung des Lachgases und seine schmerzstillende Wirkung

Die Geschichte der zahnmedizinischen Schmerzlinderung ist spannend und reicht weit zurück in die Vergangenheit. Schon in der Antike nutzten Zahnärzte und Heiler unterschiedliche Techniken, um Schmerzen zu verringern. Aber das gelang nicht immer.

Geschätzte Lesedauer: 8 Minuten

Die Geschichte der zahnärztlichen Schmerzbehandlung ist faszinierend und reicht bis in die Antike zurück. Schon damals versuchten Zahnärzte und Heilkundige, Schmerzen bei Eingriffen zu lindern. Oft gelang dies jedoch nicht. Sowohl in der Antike als auch im Mittelalter mussten die Patienten oft ohne Betäubung auskommen. Zur Schmerzlinderung wurden Kräuter gekaut oder Alkohol und Opium eingesetzt. Man kann sich gut vorstellen, dass schmerzfreie Operationen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts unmöglich waren. Selbst ein kleiner Eingriff war eine Tortur. Nicht nur die Patienten litten, auch die Ärzte mussten die Qualen der bei Bewusstsein befindlichen ertragen. Noch 1839 glaubte der berühmte französische Chirurg Alfred Armand Velpeau, dass Operationen und Schmerzen untrennbar miteinander verbunden seien. Er sagte:

„Die Vermeidung von Schmerzen bei Operationen ist eine märchenhafte Vorstellung und man sollte sich heute nicht mehr damit abgeben.“
Alfred Armand Louis Marie Velpeau (1795 – 1867), französischer Chirurg, sinngemäßes Zitat

Die Entdeckung des Lachgases

Die Entdeckung des Lachgases brachte die Wende. Joseph Priestley entdeckte 1772 das Distickstoffmonoxid, bekannt als Lachgas. Priestley, am 13. März 1733 in der mittelenglischen Grafschaft Yorkshire als Sohn eines armen Tuchmachers geboren, hatte neben seinem Theologiestudium Vorlesungen in Naturwissenschaften besucht. Später studierte er Chemie. In einem Experiment erhitzte er feuchte Eisenfeilspäne und Salpetersäure. Es entstand ein farbloses, süßlich riechendes Gas, das Mäuse zum Einschlafen brachte. Priestley erkannte jedoch nicht den Nutzen für die Chirurgie. Humphry Davy, ein britischer Chemiker und Arzt, führte Ende des 18. Jahrhunderts selbst umfangreiche Experimente mit Lachgas durch. Dabei bemerkte er nicht nur die euphorisierende Wirkung, die bei den Versuchspersonen häufig zu Lachkrämpfen führte, sondern auch eine deutliche Schmerzlinderung, die auf die sedierenden Eigenschaften des Gases hindeutete. Davy veröffentlichte seine Erkenntnisse in seinem Buch „Researches, Chemical and Philosophical: Chiefly Concerning Nitrous Oxide, or Dephlogisticated Nitrous Air, and its Respiration“.

„Da Lachgas in seiner umfassenden Wirkung in der Lage zu sein scheint, körperliche Schmerzen aufzuheben, kann es wahrscheinlich vorteilhaft bei solchen chirurgischen Eingriffen verwendet werden, bei denen es zu keiner großen Blutung kommt.“
Humphry Davy

Der Beginn der schmerzfreien Zahnmedizin: Horace Wells und das Lachgas

Obwohl bereits Davy die schmerzstillende Wirkung des Lachgases beschrieb, nutzte man zunächst nur die euphorisierende Wirkung des Gases bei sogenannten Lachgaspartys. In England nach jahrelangem Missbrauch verboten, begann der Siegeszug des Gases in Amerika. Angekündigt durch reißerische Reklame zogen Chemiker und Schausteller, die sich nicht selten als Professoren der Chemie ausgaben, durch das Land, um der Bevölkerung die erheiternde Wirkung des Gases zu demonstrieren. So auch am 10. Dezember 1844, als ein gewisser Professor Gardner Quincy Colton (1814 – 1898) in der Hartforder Union Hall seine Experimentalshow, oder besser gesagt, seinen Lachgaszirkus aufführte.

Porträtaufnahmen von Horace Wells und Gardner Quincy Colton
Linke Abbildung: Horace Wells (1815 – 1848), rechte Abbildung: Gardner Quincy Colton (1814 – 1898)

Zufällig war auch der amerikanische Zahnarzt Horace Wells (1815 – 1848) aus Hartford, Connecticut, anwesend. Horace Wells sah einen Mann, der sich unter dem Einfluss des Gases an einer Holzbank das Bein verletzte, ohne Schmerzen zu zeigen. Wells schloss daraus, dass Distickstoffmonoxid die Fähigkeit besitzt, Schmerzen zu betäuben. Schon am nächsten Tag unternahm Wells einen Selbstversuch. Seit einiger Zeit plagte ihn ein Weisheitszahn. Der Selbstversuch bot also die Gelegenheit, sich schmerzfrei von dem Übeltäter zu verabschieden. Mit Hilfe von Colton, der das Lachgas verabreichte, zog John Riggs, ein Zahnarztkollege, den schmerzenden Weisheitszahn. Wells spürte keine Schmerzen und konnte sich an den Eingriff nicht erinnern.

„Eine neue Ära des Zahnziehens ist angebrochen! Nun brauchen sich meine Patienten nicht mehr vor Extraktionen zu fürchten!“
Horace Wells

Das tragische Scheitern einer Demonstration

In den folgenden Tagen zog Wells 15 Patienten schmerzlos die Zähne. Aufgrund der erfolgreichen Operationen mit dem Gas plante Wells, seine Entdeckung im Januar 1845 im Massachusetts General Hospital in Boston vor Studenten und Ärzten zu demonstrieren. Allerdings ist weder das genaue Datum noch der genaue Ort der Demonstration in Boston belegt1Haridas RP. Horace wells‘ demonstration of nitrous oxide in Boston. Anesthesiology. 2013 Nov;119(5):1014-22. doi: 10.1097/ALN.0b013e3182a771ea. PMID: 23962967. Seine Lachgasnarkose bei einem übergewichtigen Alkoholiker scheiterte jedoch an einem Dosierungsfehler. Der Lachgasbeutel wurde zu schnell entfernt und der Patient unzureichend narkotisiert. Die Folge war, dass der Patient während der Zahnentfernung aufschrie. Die Demonstration wurde als „Schwindel“ und „Humbug“ abgetan und Wells als Scharlatan bezeichnet. Zwar gab der Patient später an, sich nicht an den Eingriff erinnern zu können. Doch der Schaden für Wells Ruf war angerichtet.

Mittellos und deprimiert nahm sich Wells am 24. Januar 1848 das Leben. Sechzehn Jahre später, 1864, erklärten die American Dental Association und sechs Jahre später die American Medical Association Wells zum eigentlichen Entdecker der Anästhesie2DOI:https://doi.org/10.1038/161123c0.

Ein Zahnarzt bereitet sich darauf vor, einen Zahn unter Lachgasnarkose zu ziehen. Marco giuffre1993, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Die Wiederentdeckung der Lachgasnarkose und ihr Siegeszug in der Zahnmedizin im 19. Jahrhundert

Mit Wells Tod geriet die Lachgasnarkose zunächst in Vergessenheit. 18 Jahre später wurde sie von dem bereits berühmten Professor Colton wiederentdeckt. Denn 1863 war Colton wieder zu Gast in Hartford. Und wie damals Horace Wells führte diesmal ein gewisser Dr. Dunham bei einer Patientin eine Zahnentfernung unter Lachgasnarkose durch. Mit Erfolg, denn die Operation verlief völlig schmerzfrei. Das brachte Professor Colton auf eine neue Geschäftsidee. Noch im selben Jahr eröffnete er in New York die Colton Dental Association, ein Dentalinstitut, in dem angestellte Zahnärzte schmerzfreie Zahnentfernungen unter Lachgasnarkose durchführten. Zwischen 1864 und 1897 entfernten Colton und seine Kollegen erfolgreich Zähne unter Lachgasanästhesie bei Zehntausenden von Patienten3https://www.general-anaesthesia.com/images/gardner-colton.html. Nach Angaben der New York Times war das Dental Institute sieben von zehn New Yorkern bekannt, die jemals unter starken Zahnschmerzen gelitten hatten4Anonym. Gardner Q. Colton tot. The New York Times, August 12, 1898, S. 7.

Dr. Nevius bei der Verabreichung von Lachgas, Colton Dental Association, Cooper Institute
Dr. Nevius bei der Verabreichung von Lachgas, Colton Dental Association, Cooper Institute; New York. Wellcome Collection. Public Domain Mark

In der Folge entstanden nicht nur in Amerika weitere Zahnarztpraxen, die Lachgas verwendeten, sondern die Lachgasanästhesie verbreitete sich auch in Europa. Zunächst wurde hundertprozentiges Lachgas verwendet. Das hatte den Nachteil, dass die Inhalation des Gases auf eine Minute begrenzt war, da bei längerer Inhalation Erstickungsgefahr durch Sauerstoffmangel bestand. Der Chicagoer Arzt Edmund W. Andrews setzte deshalb 1868 dem Lachgas zwanzig Prozent Sauerstoff zu, was eine längere Narkose ohne Gefahr des Sauerstoffmangels ermöglichte5Smith, W.D.A, : A history of nitrous oxide and oxygen anaesthesia, part IX: THE introduction of nitrous oxide and oxygen anaesthesia, Brit. J. Anaesth. (1966), 38, 950)..

Lachgas in der Medizin: Von der historischen Anwendung zur modernen Sedierungstechnik

Seit etwa 1868 gehört Lachgas zur Standardmedikation bei klinischen Operationen. Im Laufe der Zeit hat sich seine Anwendung in der Medizin weiterentwickelt und etabliert. Wissenschaftler und Ärzte erkannten zunehmend die beruhigende und schmerzstillende Wirkung von Lachgas. Durch die Weiterentwicklung der Geräte vom Lachgasbeutel hin zu modernen Geräten konnte das Inhalationssedativum effektiv eingesetzt werden. Dänische Zahnärzte boten ab 1955 Kurse zur zahnärztlichen Sedierung mit Lachgas an, in den USA etablierte sich Lachgas in den 1960er Jahren.

In vielen Kinderzahnarztpraxen wird Lachgas zur Sedierung eingesetzt. Shutterstock Yiistocking.

Eine Umfrage des Bundesverbandes der Kinderzahnärzte aus dem Jahr 2009 ergab, dass 25 Prozent der zertifizierten Kinderzahnärzte Lachgas zur Sedierung einsetzen6Esch J. Anxiolyse und Sedierung mit Lachgas in der Kinderzahnheilkunde. Quintessenz 2009; 60: 1215-1223. In den USA liegt dieser Anteil bei fast 90 Prozent7Wilson S. Eine Umfrage zur Mitgliedschaft der American Academy of Pediatric Dentistry: Lachgas und Sedierung. Pediatr Dent. 1996 Jul-Aug;18(4):287-93. PMID: 8857656. Lachgas wird heute routinemäßig mit vollautomatischen Geräten verabreicht. Diese ermöglichen eine genaue Dosierung. Das Lachgas wird durch eine Nasenmaske eingeatmet. Die Wirkung tritt schnell ein, da der Sauerstoffgehalt im Blut gesenkt wird und das Gehirn entspannt. Dies führt zu einer angst- und schmerzreduzierenden Wirkung bei zahnärztlichen Behandlungen. Vor allem in der Zahnmedizin und in der Geburtshilfe wird Lachgas in niedriger Dosierung erfolgreich eingesetzt.

zpl

Literatur/Anmerkungen

  • 1
    Haridas RP. Horace wells‘ demonstration of nitrous oxide in Boston. Anesthesiology. 2013 Nov;119(5):1014-22. doi: 10.1097/ALN.0b013e3182a771ea. PMID: 23962967
  • 2
    DOI:https://doi.org/10.1038/161123c0
  • 3
    https://www.general-anaesthesia.com/images/gardner-colton.html
  • 4
    Anonym. Gardner Q. Colton tot. The New York Times, August 12, 1898, S. 7
  • 5
    Smith, W.D.A, : A history of nitrous oxide and oxygen anaesthesia, part IX: THE introduction of nitrous oxide and oxygen anaesthesia, Brit. J. Anaesth. (1966), 38, 950).
  • 6
    Esch J. Anxiolyse und Sedierung mit Lachgas in der Kinderzahnheilkunde. Quintessenz 2009; 60: 1215-1223
  • 7
    Wilson S. Eine Umfrage zur Mitgliedschaft der American Academy of Pediatric Dentistry: Lachgas und Sedierung. Pediatr Dent. 1996 Jul-Aug;18(4):287-93. PMID: 8857656

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen