Zahnerkrankungen wie Karies, Parodontitis und Zahnverlust führen jedes Jahr weltweit zu enormen Kosten. Das zeigt eine aktuelle Studie des Universitätsklinikums Heidelberg und der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg.
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Globale Kosten der Zahnerkrankungen: Eine wirtschaftliche Analyse von 710 Milliarden US-Dollar jährlich
Professor Dr. Dr. Stefan Listl, Leiter der Sektion Mundgesundheit am Heidelberg Institute of Global Health und Professor für Translationale Gesundheitsökonomie an der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg, und sein Team analysierten Daten aus 194 Ländern1Jevdjevic M, Listl S. Global, Regional, and Country-Level Economic Impacts of Oral Conditions in 2019. Journal of Dental Research. 2024;0(0). doi:10.1177/00220345241281698. Sie betrachteten die zahnmedizinischen Versorgungskosten (direkte Kosten) und Produktivitätsverluste durch Zahnerkrankungen (indirekte Kosten). Dies umfasste Karies an Milchzähnen und bleibenden Zähnen, chronische Parodontitis, totalen Zahnverlust und andere orale Erkrankungen. Für 2019 beliefen sich die Gesamtkosten global auf etwa 710 Milliarden US-Dollar (640 Milliarden Euro). Darunter fallen direkte Kosten (Versorgungskosten) in Höhe von etwa 387 Milliarden US-Dollar (341 Milliarden Euro) und indirekte Kosten (Produktivitätsverluste) von fast 323 Milliarden US-Dollar (299 Milliarden Euro). Die meisten indirekten Kosten weltweit resultierten aus Zahnverlust und Parodontitis. Diese beiden Erkrankungen verursachten rund drei Viertel der gesamten Produktivitätsverluste.
Zahnmedizinische Versorgung: Hohe Kosten und Herausforderungen in Deutschland im internationalen Vergleich
In Deutschland betrugen die direkten Ausgaben 2019 insgesamt rund 30,9 Milliarden US-Dollar (27,8 Milliarden Euro) bzw. etwa 372 US-Dollar (334 Euro) pro Kopf. Die Produktivitätsverluste beliefen sich auf 232 US-Dollar (208 Euro) pro Kopf. Insgesamt summierten sich die indirekten Kosten in Deutschland auf 19,4 Milliarden US-Dollar (17,5 Milliarden Euro). Länder mit niedrigem Einkommen gaben 2019 jährlich durchschnittlich etwa 0,52 US-Dollar (0,47 Euro) pro Kopf für zahnmedizinische Versorgung aus. Hoheinkommensländer investierten rund 260 US-Dollar (233 Euro). In Deutschland lag der Betrag bei circa 372 US-Dollar (334 Euro) pro Kopf. „Dennoch“, so Listl, „gibt es auch in Deutschland Herausforderungen in der zahnmedizinischen Versorgung. Beispielsweise fehlen im ländlichen Raum zunehmend Zahnarztpraxen. Auch bestimmte gesellschaftliche Gruppen, wie Menschen mit Hilfe- und Pflegebedarf, haben nicht immer durchgehend Zugang zu zahnärztlicher Versorgung.“
Wirtschaftliche Auswirkungen und Prioritäten in der Mundgesundheitspolitik: WHO und Forschungsergebnisse im Fokus
Die erhobenen Daten verdeutlichen die wirtschaftliche Relevanz von Mund-, Zahn- und Kiefererkrankungen und die enorme Belastung für den Einzelnen und die Gesellschaft. „Die jüngste WHO-Resolution zur Mundgesundheit2WHO/Europa fordert dringende Maßnahmen zur Bekämpfung von oralen Erkrankungen, da Europäische Region die weltweit höchsten Raten verzeichnet. Link, der globale WHO-Bericht und der WHO-Aktionsplan betonen die weitreichenden wirtschaftlichen Auswirkungen von Mundkrankheiten. Die Arbeit von Listl und seinem Team hat entscheidend dazu beigetragen, das Bewusstsein für die Bedeutung der Mundgesundheit zu schärfen. Diese Studienergebnisse helfen, Prioritäten für eine kosteneffiziente und gerechtere Mundgesundheitspolitik zu setzen“, sagt Dr. Benoit Varenne, Officer des Oral Health Programme der WHO.
Globale Herausforderung: Notwendigkeit präventiver Maßnahmen zur Verbesserung der Mundgesundheit weltweit
Mehr als 3,5 Milliarden Menschen sind weltweit von oralen Erkrankungen betroffen. Laut WHO zählen Zahnerkrankungen zu den häufigsten chronischen Erkrankungen, die durch Prävention vermeidbar oder früh behandelbar wären. WHO und Listl betonen, dass praktikable Konzepte für präventionsorientierte Förderung der Mundgesundheit benötigt werden. Notwendig sind kosteneffiziente Programme für die gesamte Bevölkerung, wie stärkere Regulierung des Zuckerkonsums und besserer Zugang zu bezahlbarer zahnmedizinischer Versorgung. Auch eine bedarfsgerechte Personalplanung ist wichtig. Die Studie von Listls Team hebt die Bedeutung von regelmäßig aktualisierten, transparenten Informationen über die ökonomischen Auswirkungen von Zahnerkrankungen hervor. Dies dient als Entscheidungshilfe, um eine universelle Mundgesundheitsversorgung für alle zu erreichen.
zpl, Teaserfoto: proDente e.V.
Literatur/Anmerkungen
- 1Jevdjevic M, Listl S. Global, Regional, and Country-Level Economic Impacts of Oral Conditions in 2019. Journal of Dental Research. 2024;0(0). doi:10.1177/00220345241281698
- 2WHO/Europa fordert dringende Maßnahmen zur Bekämpfung von oralen Erkrankungen, da Europäische Region die weltweit höchsten Raten verzeichnet. Link