Der Zahnstocher

Der Zahnstocher und seine Geschichte.

Zahnstocher sind fast auf jedem Tisch im Restaurant zu finden. Um damit Speisereste zu entfernen oder im Mund zu spielen. Wie kam es zu dieser Sitte?

Zahnstocher sind keine Erfindung der Neuzeit

Das Reinigen der Zahnzwischenräume ist keine neuzeitliche Erfindung. Wissenschaftler konnten anhand alter Gebissbefunde zeigen, dass bereits Neandertaler Werkzeuge zum Reinigen der Zähne und der Zwischenräume benutzten.​1​ Ähnliche Hinweise finden sich bei australischen Ureinwohnern. Auch die Mesopotamier verwendeten spezielle Werkzeuge zur Reinigung der Zahnzwischenräume.

Zahnstocher aus dem Römischen Reich. (Foto: British Museum , CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Viele Jahre später, im Mittelalter, waren kunstvoll aus Gold oder Silber gefertigte Zahnstocher ein Zeichen des Wohlstands und die Möglichkeit, sich von einfachen Bürgern zu unterscheiden. Zahnstocher aus Holz für die breite Masse gab es nicht. Stattdessen wurden angespitzte Kiele von Vogelfedern oder, von den Ureinwohnern Amerikas, angespitzte Hirschknochen verwendet.

Die Massenproduktion von Zahnstochern begann in der portugiesischen Gemeinde Lorvão im Distrikt Coimbra. Seit dem 16. Jahrhundert produzierten hier Nonnen des Zisterzienserklosters Santa Maria de Lorvão Zahnstocher als Einwegartikel.​2​ Bald nahmen Einheimischen  diese Tradition auf. Für ihre von Hand hergestellten Zahnstocher, die sich in Europa, aber auch in Argentinien und Brasilien großer Beliebtheit erfreuten, verwendeten sie ausschließlich Orangenholz.

Ausschnitt aus Paolo Veroneses Gemälde „Die Hochzeit in Kana“ von 1562. An der Festtafel sitzt eine Dame, die einen Zahnstocher verwendet. (Foto: Public Domain / WikiCommons)

Zahnstocher in Massenproduktion

Mit einem dieser hölzernen Zahnstocher kam der amerikanische Unternehmer Charles Forster auf einer Reise durch Brasilien in Berührung. Als erfolgreicher Unternehmer erkannte er sofort die Möglichkeit, die in der Massenproduktion von Zahnstochern liegt. Künftig sollten sich nicht nur Wohlhabende mit kunstvoll aus teurem Material hergestellten Zahnstochern die Zahnzwischenräume reinigen können, sondern auch der normale Bürger mit einem maschinell produzierten Zahnstocher aus billigem Holz.

Für diese Produktion brauchte Forster eine Maschine, die es zu dieser Zeit noch nicht gab. Die Lösung seines Problems fand Forster in der Schuhindustrie. Damals wurden bei den meisten Schuhen die Sohlen mit kleinen Holznägeln am Obermaterial befestigt. Um diesen Vorgang zu automatisieren hatte der Amerikaner Benjamin Franklin Sturtevant eine Maschine entwickelt, die aus Holz schmale Furnierstreifen schnitt und in einem zweiten Schritt aus diesen Furnierstreifen gleichmäßige Holznägel stanzte. Zusammen mit dem Mechaniker Charles Freeman baute Forster  eine Maschine für seinen Zweck um und ließ sich diese Spezialmaschine patentieren. Anschließend durchgeführte Tests mit verschiedenen Hölzern ergaben, dass das Holz der Weißbirke am geeignetsten zur Herstellung von Zahnstochern war. Das Holz der Weißbirke war weich, biegsam und verströmte einen leicht süßlichen Geruch.

Charles Forster und seine Marketingstrategie

Ab 1869 produzierte Forster täglich Tausende von Zahnstochern. Forster sah jedoch einen weitaus größeren Markt, denn viele Amerikaner schnitzten sich ihre Zahnhölzer noch selbst. Um den Verkauf stärker anzuregen, erdachte Forster geniale Marketingstrategien: Er engagierte Personen, die in Läden gezielt nach hölzernen Zahnstochern fragten. Gab es die nicht im Angebot, dann führte diese Nachfrage oftmals dazu, diese Hölzchen in das Warensortiment aufzunehmen. Außerdem bezahlte er Studenten, die er in guten Restaurants speisen ließ. Nach dem Essen verlangten die Studenten lautstark beim Kellner hölzerne Zahnstocher. Wenn es die nicht gab, protestierten die Studenten lautstark. Was zur Folge hatte, dass die Restaurants bei Forster Zahnstocher in größeren Mengen bestellten. Auf diese Weise entwickelte Forster seinen Markt für industriell produzierte Einwegzahnstocher.​3​ Zugleich sicherte sich Forster das Monopol für industriell hergestellte Zahnstocher durch ein Patent. Erst 1880, als der Patentschutz endete, entwickelte sich ein Wettbewerb mit anderen Herstellern.

Perkins Toothpick (Caribou, Maine), Hersteller von Holzzahnstochern seit 1903

Werbeanzeige für EMCO Zahnstocher in American cookery, 1914

Da Birken, der Rohstoff für Zahnstocher, im US-Bundesstaat Maine reichlich vorhanden waren, verlagerte Forster 1887 sein Unternehmen nach Strong. Die Nähe zu den Bäumen sparte hohe Transportkosten, was eine kostengünstigere Produktion ermöglichte. Allerdings waren die unter dem Markennamen „Ideal“ produzierten Zahnstocher flach und brachen leicht. Erst als die Hölzchen durch ein verbessertes Produktionsverfahren komprimiert und abgerundet wurden, hatten sie die gewünschte Funktionalität. 1904 stellte Forster diese runden Holzzahnstocher auf der Weltausstellung in St. Louis vor. Da sich Forster die entsprechenden Patente sicherte, hatte sein Unternehmen eine neuerliche Monopolstellung bei der Herstellung von hölzernen Zahnstochern. Auf dem Höhepunkt wurden täglich rund 20 Millionen Zahnstocher hergestellt.​4​

Diamond und Ideal-Zahnstocher

Zahnseide und Zahnzwischenraumbürsten verdrängen den Zahnstocher

Mit Einführung der Zahnseide aus Nylon und anderer Zahnzwischenraumreiniger ging der Verbrauch an Zahnstochern kontinuierlich zurück. Immer mehr Hersteller gaben die Produktion von Zahnstochern aus Holz auf. In Amerika existierten bald nur noch Diamond Brands mit Sitz in Minnesota und Forsters, zwischenzeitlich umbenannt zur Forster Manufacturing Company in Strong. Das Werk der Forster Manufacturing Company stellte im Mai 2003 die Produktion endgültig ein. Heute produziert in Strong kein Unternehmen Zahnstocher mehr.​5​ Fünfzehn Jahre später folgte die Schließung von Diamond Brands in Minnesota.​6​

Heute werden die meisten Zahnstocher werden in China produziert
Aus Kostengründen werden heute die meisten Zahnstocher werden in China produziert

Lange Zeit waren Zahnstocher nicht mehr angesagt. Erst in letzter Zeit ändert sich dies. Schauspieler und Rapper​7​ zeigen sich gerne mit einem Zahnstocher im Mund. Und bei der jüngeren Generation gehört das Spielen mit dem zum „coolen“ Lebensstil. Zumal inzwischen auch Zahnstocher in verschiedenen Gechmacksvarianten erhältlich sind. Zahnstocher mit Mint-Geschmack​8​ sind ebenso im Angebot wie Zahnstocher mit Nikotinzusatz.​9​ Allerdings kommen heute die meisten Zahnstocher aus China, da hier die Holzpreise, aber auch die Löhne niedriger sind.

(zpl, Foto: zahnputzladen.de)

Literatur

  1. 1.
    Estalrrich A, Alarcón JA, Rosas A. Evidence of toothpick groove formation in Neandertal anterior and posterior teeth. Am J Phys Anthropol. Published online December 30, 2016:747-756. doi:10.1002/ajpa.23166
  2. 2.
    Lorvão Monastery. Guia da Cidade. Accessed January 9, 2021. https://www.guiadacidade.pt/en/poi-mosteiro-de-lorvao-17013
  3. 3.
    Petroski H. The Toothpick. Random House; 2007.
  4. 4.
    Wikipedia.org. Strong, Maine. Accessed January 9, 2021. https://en.wikipedia.org/wiki/Strong,_Maine
  5. 5.
    Freeman G. the town of strong maine is known as the toothpick capital of the world. Q 96.1. Published January 2, 2018. Accessed January 9, 2021. https://q961.com/the-town-of-strong-maine-is-known-as-the-toothpick-capital-of-the-world/
  6. 6.
    Collins B. End of the line in Cloquet’s toothpick and match factory. Minnesota Public Radio. NewsCut. Published May 2, 2017. Accessed January 9, 2021. https://blogs.mprnews.org/newscut/2017/05/end-of-the-line-in-cloquets-toothpick-and-match-factory/
  7. 7.
    Heißes Foto! P. Diddy in aufreizender Pose. Promiflash. Published July 18, 2012. Accessed January 16, 2021. https://www.promiflash.de/news/2012/07/18/heisses-foto-p-diddy-in-aufreizender-pose.html
  8. 8.
    Iberia®. Iberia® Mint Flavored Toothpick Display x18pcs. Accessed January 17, 2021. http://iberiahogar.com.ar/en/iberia-mint-flavored-toothpick-display-x18pcs-p-29.html
  9. 9.
    Zippix toothpicks. Zippix toothpicks. Accessed January 17, 2021. https://zippixtoothpicks.com/

Weitere Informationen auf diesem Blog

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen