Von Kukirol zu Kukident - vom ühneraugenpflaster zum Prothesenhaftmittel

Vom Hühneraugenpflaster zum Prothesenkleber

Kennen Sie „Kukirol“? Wahrscheinlich nicht. Aber sicherlich haben Sie schon von „Kukident“ gehört, bspw. von der Kukident-Haftcreme für die Dritten. Ihren Ursprung haben dieses und weitere Produkte in der Fabrik mit Namen Kukirol. Aber es war ein langer Weg.

geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Mit der Fußpflege fing es an

1919 gründete der 1893 im preußischen Bromberg, dem heutigen polnischen Bydgoscz, als Sohn eines Barbiers und Friseurs, geborene Drogist Kurt Paul Carl Krisp (1893 – 1971)1Krisp, Kurt Paul Carl (Kurzbiografie) (Link, aufgerufen am 02.11.2022) in Magdeburg die Kukirol-Fabrik 2http://www15.ovgu.de/mbl/Biografien/0397.htm. Aber nicht die Produktion von Haftmitteln für die dritten Zähne waren Ziel der Firmengründung. Vielmehr wandte sich Kurt Krisp zunächst der Herstellung von speziellen Präparaten zur Fusspflege zu. Mit großem Erfolg; denn bereits 1922 musste aus Platzgründen die Firma nach dem bei Magdeburg liegenden Groß Salze, dem späteren Bad Salzelmen, verlegt werden. Neben Fussbädern, oder Wärme erzeugenden Kukirol-Einlegesohlen gegen kalte und nasse Füße brachte es vor allem das Kukirol-Hühneraugenpflaster zu großer, auch internationaler Bekanntheit. In seinen Zeitungsannoncen bezeichnete Krisp seine Firma als größte Fußpflege-Spezialartikel-Fabrik der Welt. Was er sicherlich darauf bezog, dass er seine Produkte in 56 Staaten vertrieb.

Dr. Unblutig, Professor der Kukirologie, als Werbeikone

Ähnlich wie Karl August Lingner, dem Vater von Odol, setzte auch Kurt Krisp für seine Fußpflegeprodukte ungewöhnliche Werbemethoden ein. Eine besonders populäre Werbemaßnahme war die von Krisp und Iversen 1923 erfundene Figur des Mediziners Dr. Unblutig, einem „Professor der Kukirologie“ mit dem Röntgenblick für Hühneraugen. Gekonnt in Schwarz-Weiß-Anzeigen oder farbig auf Plakaten in Szene gesetzt wurde der Professor durch den Karikaturisten und Werbegrafiker Josef Loewenstein, auch Joe Löwenstein‘, der zwischen 1911 bis 1930 in Berlin-Schöneberg lebte. Binnen weniger Jahre war das Hühneraugenpflaster so bekannt, dass eine Karikatur auf der Titelseite der renommierten Satirezeitschrift „Simplicissimus“ 1925 auf Dr. Unblutig Bezug nahm. Zu sehen war der kleine Dr. Unblutig neben einem furchterregenden und in Übergröße dargestellten Diktator Mussolini. Die Bildunterschrift lautete: „Kukulini und Mussirol.“3SPIEGEL Geschichte: Frühe Skandal-Reklame Hetzen, bis das Hühnerauge platzt! (Link, aufgerufen am 02.11.2022). In einer anderen Anzeige zeigte Dr. Unblutig sein dichterisches „Talent“:

„Mariandl, andl, andl,
Du hast ein Hühneraug` mit hartem Randl`.
Kauf heut`noch Kukirol, und Dir wird wohl!“

Text aus einer KUKIROL Werbeanzeige um 1949. Vorbild für diesen Text dürfte ein österreichischer Schlager aus dem Jahr 1947 gewesen sein.
Reklamemotive mit Dr. Unblutig, dem Professor der Kukirologie, für KUKIROL-Hühneraugenpflaster

Als besonderen Gag besaß Dr. Unblutig ein eigenes „Wohn-Automobil“. Mit dieser „Welt-Reise-Villa“, einem umgebauten Lastkraftwagen, zog der Doktor durch die Lande und war bald überall bekannt. Dass 7,5 Meter lange Wohnmobil enthielt nicht nur ein Wohnzimmer und eine Küche, sondern sogar einen Weinkeller und ein Bad mit Wasser-Toilette. Gegen Abgabe einer leeren Kukirol-Kurpackung konnte das staunende Publikum die Reise-Villa kostenlos besichtigen. Während seiner Aufenthalte in den verschiedenen Städten besuchte Dr. Unblutig die örtlichen Drogerien und Apotheken, wodurch Aufträge über 2,5 Millionen Reichsmark zusammen kamen4Rhein-Neckar-Industriekultur e.V. (Link, aufgerufen am 04.11.2022).

Linke Abbildung: Streubüchse mit Kukirol-Streupuder, laut Hersteller „für Schweißfüße und wunde Haut, außerdem ein vorzügliches Kinderpuder.“ Rechte Abbildung: Zeitungsanzeige 1925 „Dr. Unblutigs Weltreise“ aus dem Jahr 1925

Mit Kukident zum Welterfolg

1933 verlagerte Kurt Krisp seine Firma nach Berlin-Lichterfeld. Das Produktsortiment wurde 1936 durch Kosmetikprodukte der Marke „Bitalis“ erweitert. 1937 erfolgte der Sprung von den Füssen zum Kopf. denn nun produzierte Kurt Krisp zusätzlich Reinigungsmittel der Marke Kukident für Zahnprothesen. Der Name „Kukident“ entstand aus der Kurzform des Gründernamens Kurt Krisp, wobei das „r“ weggelassen wurde und dem lateinischen Zusatz „dent“ für „Zahn“ (Kurt Krisp + dent = Kukident). Schnell ersetzte Kukident die Hühneraugenpflaster als wichtigster ArtikeI. Statt „Hühneraugen klein und groß, wirst durch Kukirol Du los” hieß es fortan: „Wer es kennt, nimmt Kukident”.

Anzeigenwerbung für Kukident

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Kukirol-Werk schwer beschädigt. Der Wiederaufbau des Kukirol-Werks erfolgte nicht in Berlin sondern im August 1948 in Weinheim an der Bergstrasse. Waren anfänglich nur sieben Mitarbeiter beschäftigt, wuchs die Zahl bis Mitte der fünfziger Jahre auf siebzig an.

Direktversand an Kunden bei der Produkteinführung

Der Verkauf der Kukident-Produkte florierte. Wobei der Verkauf nicht nur über Drogerien und Apotheken erfolgte, sondern auch direkt an Kundinnen und Kunden. 1955 war Kukirol mit 10.000 Postpaketen der größte Postkunde in Weinheim5Rhein-Neckar-Industriekultur e.V. (Link, aufgerufen am 04.11.2022). Der Direktversand an Kundinnen und Kunden war besonders wichtig bei der Einführung eines neuen Produkts. „Da die meisten Wiederverkäufer neue Artikel erst aufnehmen, nachdem diese stark verlangt werden, konnten die Zahnprothesenträger das neue Kukident nicht sofort kaufen. Um Enttäuschungen und Verärgerungen der Verbraucher zu vermeiden, wurde ein Weg beschritten, der für eine Markenartikelfabrik etwas ungewöhnlich war, und auch eine starke Belastung bedeutete, sich jedoch nicht umgehen ließ. Jeden Tag mußten mehrere tausend Packungen Kukident an die wartenden Verbraucher versand werden, bis Kukident überall erhältlich war6Text einer Zeitungsanzeige in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23. Mai 1959. Zit. in „Schriften zur Chemiewirtschaft, Band 2, S. 63 (Link).

„Kukident löst auch Ihr Problem“ – Werbung für Kukident-Produkte

Ab 1965 gab es Kukident-Reinigungsmittel in Tablettenform. Wurden 1986 etwa 1 Milliarde Tabletten produziert, sind es heute bereits 2 Milliiarden Kukident-Reinigungstabletten sowie rund 225 Tonnen Haftcreme7Unser Produktionsstandort Kukident in Weinheim, (Link, abgerufen am 04.11.2022). 1978 wurde das Familienunternehmen mit seiner bedeutenden Produktpalette verkauft. Heute gehört es zu Reckitt Benckiser Deutschland.

(zpl, 08.01.2023)

Literatur/Anmerkungen

  • 1
    Krisp, Kurt Paul Carl (Kurzbiografie) (Link, aufgerufen am 02.11.2022)
  • 2
    http://www15.ovgu.de/mbl/Biografien/0397.htm
  • 3
    SPIEGEL Geschichte: Frühe Skandal-Reklame Hetzen, bis das Hühnerauge platzt! (Link, aufgerufen am 02.11.2022)
  • 4
    Rhein-Neckar-Industriekultur e.V. (Link, aufgerufen am 04.11.2022)
  • 5
    Rhein-Neckar-Industriekultur e.V. (Link, aufgerufen am 04.11.2022)
  • 6
    Text einer Zeitungsanzeige in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23. Mai 1959. Zit. in „Schriften zur Chemiewirtschaft, Band 2, S. 63 (Link)
  • 7
    Unser Produktionsstandort Kukident in Weinheim, (Link, abgerufen am 04.11.2022)

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