Eine aktuelle Studie zeigt, dass sechsmal mehr Kinder in Bayern mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert waren als gemeldet.
Langzeitstudie mit Kindern und Jugendlichen in Bayern
Zwischen Januar 2020 und Juli 2020 untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München knapp 12.000 Blutproben von Kindern und Jugendlichen in Bayern im Alter zwischen einem und 18 Jahren auf SARS-CoV-2-Antikörper. Da die Münchner Wissenschaftler bereits eine große, bayernweit angelegte Bevölkerungsstudie namens „Fr1da“ zur Früherkennung von Typ-1-Diabetes bei Kindern durchführten, konnten sie schnell und einfach die bestehende Test-Infrastruktur um den neuen Ansatz für SARS-CoV-2-Antikörper erweitern.
Messung von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 mit besonders hoher Genauigkeit
Derzeitige Antikörpertests weisen eine mangelnde Spezifität auf, was zu einem großen Anteil falsch-positiver Ergebnisse führt. Mit anderen Worten: Menschen werden positiv auf das neuartige Coronavirus getestet, obwohl sie gar nicht infiziert sind (falsch-positiv). Unter der Leitung von Prof. Anette-G. Ziegler entwickelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen neuen Ansatz zur Messung von Antikörpern gegen SARS-CoV-2. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass das Testergebnis erst dann als Antikörper-positiv gilt, wenn sowohl gegen die Rezeptor-Bindungsdomäne als auch gegen Nukleokapsid-Proteine des Virus positiv getestet wurde. Dieser zweistufige und zweifach-positive Ansatz führt zu besonders genauen Ergebnissen mit einer Spezifität von 100 Prozent und einer Sensitivität von über 95 Prozent.
Höhere Übertragungsrate als bisher beschrieben
Zwischen April und Juli wiesen durchschnittlich 0,87 Prozent der Getesteten Antikörper auf (zweifach-positiv). Verglichen mit den im gleichen Zeitraum vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Ernährung (LGL) gemeldeten Fällen von Kindern und Jugendlichen, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden, war die Antikörperhäufigkeit sechsmal höher. Unterschiede zwischen den Geschlechtern waren nicht erkennbar. Fast jedes zweite Kind (47 Prozent) mit Antikörpern hatte keine erkennbaren Krankheitssymptome, war also asymptomatisch. Rund ein Drittel (35 Prozent) der Betroffenen, die mit einem auf das Virus positiv getestetem Familienmitglied zusammenlebten, wiesen Antikörper auf. Offenbar ereignen sich viele Infektionen in der Familie.1
„Unsere Studie liefert wichtige Ergebnisse, die die Diskrepanz zwischen gemeldeten Virusinfektionen und Antikörperaufkommen offenlegen. Da viele Personen, bei Kindern knapp die Hälfte, keine COVID-19-typischen Symptome entwickeln, werden sie nicht getestet. Um verlässliche Daten über die Ausbreitung des Virus zu bekommen, reicht es also nicht aus, nur auf das Virus selbst zu testen.“
Markus Hippich, Erstautor der Studie und Postdoc am Helmholtz Zentrum München
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen daher, bevölkerungsweite Antikörper-Screenings zur Überwachug des Pandemieverlaufs durchzuführen.
(zpl, Foto: tolmacho/pixabay.com)
Literatur
- 1.Hippich M, Holthaus L, Assfalg R, et al. Public health antibody screening indicates a six-fold higher SARS-CoV-2 exposure rate than reported cases in children. Med. Published online October 30, 2020. doi:https://doi.org/10.1016/j.medj.2020.10.003